Im Magazin des Stadtarchivs in den Kellern der Lateinschule findet sich neben zahlreichen anderen Dokumenten ein mit einem roten Siegel versehenes Schriftstück, das die Signatur Bh 2 Nr. 544 trägt. Es handelt sich dabei um ein Papier in der Größe von 42 auf 33 Zentimeter, das einmal gefaltet ist und von dessen vier Seiten zwei beschriftet sind beziehungsweise eine weitere Seite mit einem kurzen Vermerk versehen ist (Abb. 3). In diesem Vermerk steht:
„Besigheim. Geburtsbrief und Zeugnis für Georg Michael Ege, des Küblerhandwerk, welcher sich nach Bietigheim verheirathen will, d[e] d[ato] 27ten Aug[usti] 1799“.
Der lateinische Begriff „de dato“ bedeutet hier: „ausgestellt am“.
In dem in schöner und regelmäßiger Schrift geschriebenen Dokument bestätigten der Oberamtmann von Besigheim, [Konrad Friedrich] Sandberger, der als „Sigillum Testor“ (Siegelzeuge) auch sein Amtssiegel hinzufügte, der Bürgermeister Sigmund Demeradt sowie als Vertreter des Gerichts Sigmund Keppler, Christoph Friedrich Böhringer und Georg Heinrich Eisenkrämer dem Kübler (Fassmacher) Georg Michael Ege, dass er ehelicher Geburt, christlicher Taufe und Erziehung und kein Leibeigener sei (Abb. 4). Ebenso stellte das Gremium fest, dass ihm seine Eltern 300 Gulden zum Heiratsgut geben wollten. Zudem bescheinigten sie ihm einwandfreies Verhalten: „Seine Aufführung war anders uns nicht wissens immer löblich und ohne Klage beschaffen.“ Auch dem Verzicht Eges auf sein Besigheimer Bürgerrecht wurde zugestimmt.
Worum ging es da?
Zunächst zum Verständnis: Der Oberamtmann war im damaligen Württemberg als Vertreter des Herzogs das Verwaltungsoberhaupt des Amtes und der Stadt und Vorsitzender des Stadtgerichts. Die Bürgermeister, von denen es jeweils zwei gab, amtierten jährlich und waren für die städtischen Finanzen verantwortlich. Ihr Amt entsprach in etwa dem des heutigen städtischen Kämmerers. Das (Stadt-)Gericht, ein zwölfköpfiges Gremium, schließlich war Kriminalgericht des Amtsbezirks und zugleich ziviles Berufungsgericht für die Amtsorte sowie Verwaltungsbehörde der Amtstadt.
Wie schon erwähnt, beabsichtigte Georg Ege zu heiraten. Seine Zukünftige wohnte in Bietigheim und er wollte nach der Heirat zu ihr ziehen und dort Bürger werden. Das war damals jedoch nicht so einfach wie heute. Wenn heute sich ein Besigheimer in Bietigheim-Bissingen ansiedeln will und er hat dort schon einen Wohnsitz, dann ist es kein Problem für ihn, sich bei den Bürgerämtern in der Löchgauerstraße (Bietigheim) oder in der Bahnhofstraße (Bissingen) anzumelden und so Einwohner zu werden. Früher jedoch mussten sich Zuziehende um das Bürgerrecht der Stadt bewerben. Denn das städtische Bürgerrecht war in der Frühen Neuzeit umfangreicher Natur und umfasste wichtige Rechte und Pflichten. Es ermöglichte seinen Inhabern den Zugang zu städtischen Ämtern und die Nutzung städtischer Liegenschaften (Allmende) und anderer Rechte. Zudem konnte ohne Bürgerrecht kein Handwerk ausgeübt werden.
Das exklusive Bürgerrecht
Dies erklärte, dass damals die Gemeinden den Zugang zum Bürgerrecht streng kontrollierten. Sie wollten verhindern, dass Personen unehelicher Abstammung, Arme, also mögliche Unterstützungsempfänger, oder Personen mit krimineller Vergangenheit oder Gegenwart sich in ihren Mauern niederließen und das Bürgerrecht bekamen. Auch eine Doppelbürgerschaft sollte vermieden werden. Darum mussten die Interessenten eine von ihrer Heimatgemeinde ausgestellte Bescheinigung vorlegen, welche solche unerwünschten Eigenschaften ausschloss. Es handelte sich also auch um ein Leumundszeugnis.
Ein Zeugnis dieser Art, bei dem die Bescheinigung der ehelichen Geburt und christlichen Taufe im Vordergrund steht, wurde damals Geburtsbrief genannt. Mit diesem Begriff wird Georg Eges Bescheinigung dann auch auf dem rückseitigen Vermerk bezeichnet.
Bestätigungen ähnlicher Art übrigens, bei denen zuerst das Mannrecht, also die volle Eidesfähigkeit und damit die volle Rechtsfähigkeit (Mannrecht), bescheinigt wurden, bezeichnete man als Mannrechtsbriefe. Jedoch enthielten auch diese (nachfolgend) die Bescheinigung der christlichen Taufe und ein Leumundszeugnis. Im vorliegenden Fall ist zwar nicht die Rede von einem Mannrecht, doch ergibt sich dieses aus dem Besigheimer Bürgerrecht, der Freiheit von Leibeigenschaft und dem guten Leumund Eges. Jedoch konnte die Grenze zwischen Geburts- und Mannrechtsbrief oft fließend sein.
Leibeigene waren unerwünscht
In einer Zeit, in der das religiöse Bekenntnis eine entscheidende soziale Rolle spielte, wurde auch großer Wert auf eine christliche Taufe und Erziehung gelegt. Die Zuwandernden durften zudem nicht leibeigen sein. Denn es wurde befürchtet, dass in einem anderem Falle der Leibherr, also der „Besitzer“ des Leibeigenen, über dieses Abhängigkeitsverhältnis sich in die städtische Politik einmischte. Mit der oben erwähnten Zusicherung, dass Eges Eltern ihm zur Hochzeit 300 Gulden übergeben wollten, war auch sichergestellt, dass es um seine materiellen Verhältnisse gut bestellt war.
Nach der Niederschrift war das Dokument mit Siegel und Unterschrift beglaubigt worden. Danach faltete es man es – wie man es noch auf dem Foto erkennen kann - in ein handliches Format (16 auf 9 Zentimeter), das in jede Tasche passte. Zum Schluss wurde es noch mit dem oben erwähnten rückwärtigen Vermerk versehen und zweifelsfrei mit einem Verschlusssiegel versehen, wobei davon am heutigen Original keine Spuren mehr nachgewiesen werden können.
Ein lateinisch-deutscher Eingangsvermerk
Am 5. September übergab Georg Ege das Schriftstück an die Stadt Bietigheim. Die städtische Amtsperson, die es entgegennahm, vermerkte den Eingang, in dem sie in lateinisch-deutscher Mischsprache an die Seite schrieb: „rec[epi] d[en] 5. Sept[embris]. Übersetzt heißt dies: „ich habe (es) am 5. September erhalten“ (Abb. 5). Nach dem das aufgefaltete Schriftstück seinen Zweck erfüllt hatte, wurde es dann in einer einfacheren Faltung zu den Akten gelegt.
Am 21. des gleichen Monats heiratete Georg Ege die Bietigheimer Maurerstochter Christina Barbara Rebstock. Die beiden gründeten eine Familie und Georg arbeitete jetzt am neuen Wohnort in seinem Küblerhandwerk. Nach 40 Jahren Ehe ist dann Christina am 25. Mai 1840 in Bietigheim gestorben, Georg folgte ihr wenige Jahre später am 23. April 1845. Der Geburtsbrief jedoch blieb bei der Stadt Bietigheim und so liegt er seit über 200 Jahren dort, zuerst in der städtischen Registratur und jetzt im Stadtarchiv.
Quellen, Hilfsmittel:
Bietigheim Totenregister 1831-1864 (Mikrofilmkopie aus dem Landeskirchlichen Archiv Stuttgart)
Bietigheim Familienregister, , angelegt 1808, Bemerkung: A-K; mit Index (Mikrofilmkopie aus dem Landeskirchlichen Archiv Stuttgart)
Herzoglich-wirtembergisches Adreß-Buch. (1798)
Herzoglich-wirtembergisches Adreß-Buch. (1799)
Literatur:
Trugenberger, Volker: Geburtsbriefe, Mannrechtsbriefe, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [https://www.leo-bw.de/themenmodul/sudwestdeutsche-archivalienkunde/archivaliengattungen/urkunden/mannrechtsbriefe-und-geburtsbriefe], Stand: 20.07.2017.