Ein bemerkenswertes Heft aus Bissingen

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In den Beständen des Stadtarchivs gibt es viele Urkunden und Bände, die über wohlhabende und mächtige Menschen berichten. Doch finden sich auch zahlreiche Dokumente, die wichtige Informationen über Angehörige der Mittelschicht oder der weniger begüterten Schicht, also über die weitaus größere Mehrheit der Bevölkerung ihrer Zeit, enthalten.

Eines dieser Dokumente sieht recht mitgenommen aus (Bild 1). Es handelt sich um ein abgegriffenes Heft oder Kladde. Das Format beträgt in der Höhe 20 cm und in der Breite 16 cm. Da Seiten herausgerissen wurden, ist deren genaue Anzahl nicht mehr ermittelbar; es könnten 56 gewesen sein. Im Heft findet sich ein Zettel mit einer hauswirtschaftlichen Berechnung sowie eine Rechnung der Firma G. F. Berg, Bekleidung und Ausstattung, Ludwigsburg, vom 27. Dezember 1939 (Bild 2 und 3). Das hier vorgestellte Dokument wurde 2019 anonym an das Stadtmuseum Hornmoldhaus abgegeben.

Eine Rechnung als Hinweisgeber

Die erwähnte Rechnung gibt dann einen Hinweis auf den ursprünglichen Besitzer des Hefts oder der Kladde. Es handelt sich um einen Herrn Wilhelm Koch aus Bissingen. Er ist in verschiedenen Unterlagen des Stadtarchivs nachweisbar. Geboren am 3. Juli 1876 in Ottenhausen, heute Ortsteil der Gemeinde Straubenhardt, Enzkreis, arbeitete er zunächst als Goldarbeiter in Pforzheim. Nachdem seine erste Frau, mit der er zwei Töchter hatte, gestorben war, heiratete er 1911 die aus Untermberg stammende Luise Karoline Daub. 1933 zog die Familie von Untermberg nach Bissingen in die Friedrichsstraße 28. Sie wohnte dort zur Miete. Koch arbeitete damals als Schweißer. Die jüngere Tochter Marta Emma hatte sich 1930 nach Waiblingen verheiratet, während die ältere, Wilhelmine Luise, bei den Eltern blieb. 1950 wurde Wilhelm im Einwohnerbuch als Rentner bezeichnet.

Die Kladde enthält die verschiedensten handschriftlichen Einträge, die uns über interessante Aspekte des Lebens früherer Zeiten berichten.

So findet sich ein am 26. August 1929 niedergeschriebenes Rezept gegen Heiserkeit und Husten. Dazu heißt es:

Ein bewährtes u. dabei sehr nahrhaftes Volksheilmittel bei Heiserkeit und Husten ist folgendes:

1 Eigelb wird mit 1 Eßlöffel voll feingesponnen Kandiszucker dickschaumig gerührt, dan[n] 2 Eßl[öffel] voll Rum oder Kognak beigemengt, darüber 1/8 Liter heiße Milch gegossen und dies vor dem Schlafengehen getrunken. Das 2-3 mal“

Der Begriff „feingesponnen“ in Zusammenhang mit Kandiszucker verweist auf eine Herstellungsart desselben. Denn er kann mittels Fäden hergestellt werden, indem Zucker in heißem Wasser aufgelöst wird und dann sich an Fäden wieder herauskristallisiert.

Scharfer Salbeitee

Sehr einfach gestaltet sich ein weiteres Hausmittel gegen die Übel einer Erkältung:

Bei Katarrh (Schnupfen, Husten) ist das beste ein scharfer Salbeitee, dem Honig zugesetzt wird.“

Auch für die Haushaltsführung gibt es praktische Tipps, wie jener für die folgende Anwendung von Milch:

„Wird kochend-heiße Milch in einen neuen, leeren Schrank gestellt, so nimmt sie diesem den Holzgeruch. Die Milch ist danach unbrauchbar.“

Recht originell ist folgendes Mittel:

Eier können Sie mit Hilfe einer Taschenlampe prüfen – gute Eier sehen in der Durchleuchtung klar aus, schlechte Eier dagegen trübe und zeigen dunkle Flecken.

Spätestens hier wird deutlich, dass es sich nicht um alte, innerhalb der Familie überlieferte, Rezepte handelte. Vielmehr lässt die Wortwahl und die zuvor erwähnte Taschenlampe auf Abschriften aus Zeitschriften oder Ratgeber in Buchform schließen.

Auch Backrezepte sind vertreten, so eines über den Saure-Milch-Kuchen.

Es lautet:

„¾ bis 1 Ltr. Sauermilch, 80 gr. Zucker, 2-4 Eier, 80 gr Mehl, ½ Zitronenscheibe.

Eigelb u. Zucker schaumig rühren, das Mehl nach u. nach zugeben. Dann die zartgeschlagene Sauermilch, Zitrone u. zuletzt der steife Eierschnee.“

Das Rezept liefert dann auch den Hinweis, wer diese Abschriften angerfertigt hat. Es wird entweder die Ehefrau oder die Tochter gewesen sein, die sich hier praktische und nützliche Dinge notiert haben. Das in der damaligen Zeit ein Mann Backrezepte notiert hat, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

Neben Gesundheitsrezepten und Tipps finden sich auch Rechnungen haushälterischer Art (Bild 4). Sie verraten einiges über damalige Ernährung, wie folgende Zusammenstellung zeigt:

 

1.1.1940

Hauszins

26.- M

2*.1. ---

Krankenhaus

30.- ‘‘

F**---    

Fahrkosten

1.30 ‘‘

2.1.1940

Füchtner

1.23 ‘‘

3.1.1940

Strom 4.40 Radio 2.

6.40 ‘‘

---

Hustenbonbons

-.45 ‘‘

---

Weihnachtsgeld für Briefträger

-.50 ‘‘

5.1.39

Kornfrank

-.48 ‘‘

5.1.39

1. Lt. Magermilch

-.13.’‘

4.1.39

Butter, Käse, Reis, Zucker

1.55 ‘‘

6.1.39

Füchtner Brot, Nudeln, Butter

1.72 ‘‘

---

Bratwürste u. Schmalz v. Fr. Eppler

1.24 ‘‘

---

Fleisch u. Wurst u. Schmalz

4.20 ‘‘

---

Milch

-.63 ‘‘

---

Hefte

1.20 ‘‘

 

Waschpulver u. Herdputz

1.40 ‘‘

 

77.43

 

 

 

 

 

Einnahme

73.13

 

Ausgabe

77.43

 

4.30

 

 

 

 

 

Sauerkraut

-.54

 

4.84

 

 

Zur Zusammenstellung sind einige Erläuterungen notwendig. Zunächst bei der Datumsangabe „2.1.“ (*) wurde die „2“ nachträglich ausgestrichen, in der darauffolgenden Zeile wurde der Text irrtümlicherweise ganz links angesetzt, der Fehler jedoch entdeckt und das „F“(**) wieder ausgestrichen. Das „M“ steht für Reichsmark (RM), die damalige Währung. Mit „Füchtner“ ist die „Brot- und Feinbäckerei Friedrich Füchtner“ in der Bahnhofstraße 34 gemeint. Bei „Fr. Eppler“ dürfte es sich um die Vermieterin gehandelt haben, von welcher Bratwürste und Schmalz gekauft worden waren. Die 48 Pfennig wurden für einen Kaffeeersatz auf Zichorienbasis, hier „Kornfrank“ genannt, ausgegeben. Auf der Liste wurde der Name nicht richtig wiedergegeben, es fehlt das „c“. Bei Kornfranck handelte es sich um ein Produkt der Firma Franck, die berühmt für ihren Kaffeeersatz war und deren Produktionsgebäude am Ludwigsburger Bahnhof heute noch unübersehbar sind. Schließlich ist hier noch zu erwähnen, dass damals der Lohn noch wöchentlich ausgezahlt wurde. In einem Kuvert („Lohntüte“) wurde das Geld bar an die Beschäftigten ausgehändigt.

Irritierend sind allerdings die Datumsangaben. Die Rechnungspositionen beginnen vom 1. Januar 1940 an, es folgt der 2. Januar. Bei der darauffolgenden identischen Datumsangabe wurde das Tagesdatum nachträglich wieder ausgestrichen. Dann geht es weiter mit dem 5. und 6. Januar 1939 [!]. Hier wurde statt „40“ irrtümlicherweise „39“ geschrieben, denn in der folgenden Woche ging es mit „1940“ weiter. Die Haushaltsrechnung betraf also den Zeitraum vom Montag (1.1.) bis Samstag (6.1) in der ersten Kalenderwoche des Jahres 1940.

Dann stimmt die Gesamtsumme nicht, statt 77.43 RM müssten 78.43 RM bzw., die 54 Pfennig für das Sauerkraut zuzüglich, 78.97 RM im Ergebnis stehen.

Auch ist die Bedeutung einiger Summen nicht ganz sicher. Mit „Einnahmen“ könnte das Haushaltsgeld der Ehefrau gemeint sein. Wobei der genaue Ursprung des Geldes unklar ist. Denn es ist beispielsweise nicht bekannt, ob der Ehemann damals noch berufstätig oder schon in Rente war. Vermutlich kam auch von der Tochter, die 1947 als Arbeiterin erwähnt wurde, ein Teil des Geldes. Keinen Hinweis gibt es, ob die Ehefrau berufstätig war.

Miete ist auch noch zu bezahlen

Auf jeden Fall war die Familie nicht wohlhabend; die zur Verfügung stehende Summe in Höhe von 73.13 RM reichte nicht aus, um die Ausgaben zu decken. In der Haushaltskasse klaffte ein Minus von 5.84 RM. Dies lag an den Unkosten für eine Krankenhausbehandlung, die mit 30 RM zu Buche schlug. Dazu kamen 26 RM „Hauszins“, also Mietkosten.

Ohne diese die Behandlungskosten hätte das Geld in der Haushaltskasse ausgereicht. So war dann in der folgenden Woche (vom 6. bis zum 13. Januar) das Haushaltsbudget ausgeglichen; den Ausgaben von 21.48 RM standen Einnahmen von 30 RM entgegen.

Diese Wochenrechnung bietet natürlich nur einen begrenzten Einblick in das Konsumverhalten der Familie Koch. So wurde durchaus auch Gemüse eingekauft; beispielsweise am 17. Januar „Gelbe Rüben“. Dieses aus einer Urform der heutigen Karotte entstandene Wurzelgemüse ist geschmacklich etwas intensiver als jene.

Dass es sich nicht um friedliche Zeiten handelte, wird an einem Eintrag für den folgenden Tag deutlich, denn im Heft ist vermerkt: „Verdunklungspapier, Reisnägel 1.70 [RM]“. Damals fanden die ersten größeren Luftangriffe auf Deutschland statt und die Verdunklung der Häuser und Wohnungen wurde zur Pflicht.

Ansonsten ist über die Familie nur wenig bekannt. Gesichert überliefert ist der Tod Wilhelms im Jahr 1965, wenige Jahre nachdem Luise Karoline verstorben war.