Die Angst Maria Dorotheas vor dem sozialen Abstieg – der Eintrag zum Ehepaar Meidinger in den Inventuren und Teilungen von 1754

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Im Stadtarchiv liegt ein wertvoller Dokumentenbestand, die sogenannten Inventuren und Teilungen. Es handelt sich dabei um Vermögensbeschreibungen, die zur Vermeidung von Erbschaftsstreitigkeiten jeweils bei der Heirat oder beim Tod eines Einwohners durch die Städte und Gemeinden angelegt worden sind.

In der Beibringensinventur wurde das Vermögen der Brautleute festgehalten; die Teilung bestand ebenfalls aus einer Übersicht des (hinterlassenen) Vermögens sowie zusätzlich einer Berechnung der Erbanteile (Eventualteilung) und schließlich der rechtlich verbindlichen Zuweisung der Anteile (Realteilung).

In Württemberg waren durch das Erste (1555) und Zweite Landrecht (1567) Inventare für Verstorbene gesetzlich vorgeschrieben worden. Ab 1610 mussten auch Eheleute ihren Besitz bei der Eheschließung inventarisieren lassen. Mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches zum 1.1.1900 wurden die Teilungen und Inventuren dann durch die Nachlassakten ersetzt.

Da die Inventuren und Teilungen besonders ab Mitte des 18. bis Anfang des 19.Jahrhundert oft sehr ausführliche Zusammenstellungen der zum Vermögen gehörenden Sachgegenstände enthalten, sind sie eine hervorragende Quelle für die Sozialgeschichte.

Im Stadtarchiv stammt der älteste Band dieser Quellengattung aus dem Jahr 1556. Damit ist er der zweitälteste derartige Band auf dem Gebiet des ehemaligen Herzogtum Württembergs, nur Gebersheim (bei Leonberg) hat noch eine ältere Überlieferung (1552).

In einem aus dem Jahr 1754 stammenden Band mit dem Titel „Bietigheim – abgeschribene Inventur de A[nno] 1754“ aus diesem Bestand findet sich auf Blatt 1 bis 7 - es wurde damals meist nach Blättern gezählt - ein Eintrag über den aus Tübingen stammenden Schuster Johann Michael Meidinger und dessen Ehefrau Maria Dorothea (geb. 2.3.1717). Sie war eine Tochter des verstorbenen Hans Jacob Räpplins (auch Räpplen), Bürgers und Stadtschäfers in Bietigheim.

Johann Michael und Maria Dorothea hatten zuvor am 20. November 1753 geheiratet. Jetzt gingen sie am 17. Januar 1754 zu den verordneten „Inventeuren“, den Bürgermeistern (Kämmerern) Johannes Kaußler und Georg Friedrich Majer. Diese oder vielleicht auch ein beauftragter Schreiber nahmen die Arbeit auf und notierten dann das ganze Vermögen. Bei jedem Stück wurde auch ein Wert in der damaligen Währung Gulden oder Kreuzer angegeben. Wobei ein Gulden aus 60 Kreuzern bestand.

„0 Baargeldt“.

Zunächst wurde das vom Mann in die Ehe gebrachte Vermögen aufgenommen. Da sah es schlecht aus. Johann Michael besaß keine Immobilien und „0 Baargeldt“. Auch sein Bücherbesitz war bescheiden; er bestand aus einem „Württembergisch[en] Gesangbuch“. Zu den „Manns-Kleyder[n]“ gehörte immerhin ein „guter Huth“ im Wert von einem Gulden sowie ein paar schwarze „mittelmäsig“ Seidenstrümpfe (40 Kreuzer). Auch ein! Paar „neue“ Schuhe (1 Gulden) nannte der Schuhmacher Meidinger sein eigen.  Ein „Spannisch Rohr“ (Spazierstock) und ein „Rantzen“ gehörten ebenfalls zur bescheidenen Ausstattung. Als Schuster hatte er natürlich sein Handwerkzeug: Eine „Leder-Zangen“, einen Hammer, eine Beißzange, eine Raspel und nicht zuletzt sieben Paar Leisten u.a.; alles zusammen vier Gulden und zwei Kreuzer wert.

Bei Maria Dorothea, die aus Bietigheim stammte, sahen die Vermögensverhältnisse besser aus, immerhin besaß sie zwei Stücke Acker, das eine in der Nähe der Peterskirche gelegen (0,1 Hektar) im Wert von 26 Gulden und ein weiteres (0,16 Hektar) im Wert von 25 Gulden. Ein wenig Bargeld war auch vorhanden (35 Gulden). An „Kleinodien und Silber-Geschmeid“ besaß sie u.a. einen „Silber und verguldeter Kugel-Ring“, zwei silberne „Ring“ und eine mit Silber eingefasste „Eichhorns-Klauen“! Schließlich nannte sie auch noch sieben „Reyfen kleine rothe Corallen“ ihr Eigen. Der Schmuck insgesamt war gerade mal einen Gulden und 39 Kreuzer wert.

Ihr Bücherbesitz war ein wenig größer als der ihres Mannes, wobei alle Werke religiösen Inhalts waren. Unter den sechs Objekten befand sich natürlich auch ein württembergisches Gesangsbuch aber auch eine Kinderbibel. Der einschlägige Inhalt der Bücher spiegelt dabei die tiefe Frömmigkeit der damaligen Zeit wieder.

Bedeutender war die Anzahl der „Weiber-Kleyder“, wie sie im Inventar bezeichnet werden. Die Aufzählung umfasst 36 Positionen; beim Ehemann waren es nur 17 Stücke gewesen. In der Aufzählung finden sich ein auch ein „halbseiden“ Halstuch, eine „schwartz mit weißen Blumen gedruckht[e]“ Schürze oder auch ein paar „gute wullene Strümpf“.

Ein „Saltzbüxle“

Darauf folgt das „Bettgewandt“, also Bettzeug und Kissen, und dann die „Leinwandt“, also Leinzeug wie beispielsweise Tischtücher. An Zinngeschirr waren unter anderem ein „halb Maas-Känntle“, ein „Deller“ und ein „Saltzbüxle“ vorhanden.

An „Eißen-Küchen-Geschirr“ gab es eine gute und zwei „mäßige“ Pfannen, ein „Schmalzpfännle“, einen Schaumlöffel, einen „Abnehmlöffel“ sowie andere Dinge. Zu erwähnen wäre auch noch das „Schreinwerckh“, worunter unter anderem eine „alte gehimmelte Bettladen“ (1 Gulden, 30 Kreuzer), ein einfacher „Kleyder-Kasten“ (2 Gulden) oder ein Tisch „von harttem Holtz“ (1 Gulden 30 Kreuzer) fielen.

Zum „Gemeinen Hausrath“ gehörten Gegenstände wie eine Mistgabel, eine Garnhaspel, eine „Kleider-Bürsten“ ein „Kehrwisch“, eine Beißzange und noch anderes mehr.

Der Anteil des Ehemanns betrug 41 Gulden und 21 Kreuzer, derjenige der Ehefrau jedoch 170 Gulden und 46 Kreuzer. Sie hatte also das größere Vermögen in die Ehe eingebracht.

Das Inventar des frischvermählten Ehepaars Meidinger spiegelt die eher begrenzten Mittel eines Haushaltes der ärmeren Schichten wieder. Zugleich ermöglichen die Gegenstände Einblicke in die damalige bäuerlich-kleinstädtische Sachkultur.

In der Aufzählung spiegelt sich die ungünstige soziale Stellung Maria Dorotheas wieder. Auch war ihr bisheriges Leben wohl nicht ganz einfach gewesen. Die Eltern Hans Jakob, gebürtig aus Schöckingen, und Euphrosina, geborene Basler, aus Lauterburg (heute Ortsteil von Essingen / Ostalbkreis), waren 1714 nach Bietigheim zugewandert und Hans Jakob erhielt mit seiner Familie hier das Bürgerrecht. Er war offenbar vermögend, den er erwarb ein äußerst repräsentatives Fachwerkhaus (Schieringerstraße 13), das heute noch steht. Doch verschlechterten sich die Vermögensverhältnisse und er verkaufte das Haus und erwarb statt dessen das kleinere Nachbarhaus (Schieringerstraße 11). Offenbar wurden seine wirtschaftlichen Verhältnisse immer ungünstiger, denn nach dem Tod seiner Ehefrau Euphrosinia 1739, verkaufte er auch dieses Haus und wohnte mit seiner jüngsten Tochter Maria Dorothea zur Miete. 1751 starb er. Maria Dorothea hat dann nach dem Tod der Mutter ihrem Vater bis zu dessen Tod den Haushalt geführt.

Sorge um den Vater

Erben des stark geschrumpften Vermögens waren die Kinder Johann Georg, Anna Euphrosina, verheiratete Ötinger, Johann Gottlieb und als Jüngste Maria Dorothea. Bei dem Inventurverfahren klagte Letztere, dass sie wegen der Sorge um den Vater Anträge interessanter Heiratskandidaten hätte ausschlagen müssen. Zudem hatte sie nur „wenige güthlen […] erhalten“. Als Entschädigung bekam sie etwas Hausrat.

Hinter der Klage Maria Dorotheas stand die Sorge, welche damals viele junge Frauen mit ihr teilten, nämlich davor die Gelegenheit einer Eheschließung zu verpassen. Nur über den Weg einer Ehe bot sich die Chance einen eigenen Haushalt führen zu können. Bei Ehelosigkeit wäre als Alternative dann nur noch die Möglichkeit geblieben, bei Geschwistern im Haushalt zu leben, was mitunter sehr schwierig sein konnte, als ledige Magd zu arbeiten oder es drohte gar die Gefahr unter die gemeindliche Armenfürsorge zu fallen. Alle Alternativen bedeuteten einen sozialen Abstieg.

Angesichts ihres für damalige Verhältnisse schon fortgeschrittenen Alters von 34 Jahren befürchtete Maria Dorothea allem Anschein nach, das „Zeitfenster“ für eine Ehe verpasst zu haben.

Im Alter von 36 Jahren gelang es ihr dann tatsächlich noch zu heiraten. Neben ihrem dringenden Wunsch zu heiraten, wird vermutlich auch die naheliegende Überlegung des künftigen Ehemanns, der hier eine Chance für einen (sehr bescheidenen) sozialen Aufstieg sehen konnte, auf beiden Seiten zum Entschluss zu einer Heirat befördert haben.

Es kamen in der Folge drei Kinder auf die Welt, wobei ein Sohn (Johann Wilhelm) im Alter von 6 Monaten und eine Tochter (Sophia Dorothea) im Alter von 11 Jahren starben, was damals angesichts der schlechten Gesundheitssituation nicht ungewöhnlich war. Der am 6. Juni 1759 geborene Sohn Johann Jakob hingegen überlebte. Allem Anschein nach besserten sich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der kleinen Familie und es konnte Wohneigentum in der Form einer Haushälfte erworben werden.

Eine private Katastrophe

Doch meinte das Schicksal es nicht gut mit Maria Dorothea und es ereignete sich eine private Katastrophe, welche den bescheidenen sozialen Status der kleinen Familie allem Anschein nach zerstörte. Denn der Ehemann wurde untreu und begann ein Verhältnis mit der unverheirateten Catharina Müller. Die aus jener Beziehung stammende Tochter Sophia Dorothea wurde 1770 geboren.

Wegen Ehebruch angeklagt floh Meidinger, wurde jedoch verhaftet. Um aus der Sache rauszukommen, ging er in den württembergischen Militärdienst. Als Soldat ist er dann nach 1771 gestorben.

Da er mangels Vermögen Schulden nicht begleichen konnte, wurde zeitgleich ein Gantverfahren (Konkursverfahren) gegen ihn eröffnet. Das Verfahren betraf das Vermögen der Eheleute. Jedoch hatte Maria Dorothea hinsichtlich des von ihr in die Ehe eingebrachten Vermögens Ansprüche auf Gelder aus der Konkursmasse, welche auch berücksichtigt wurden. Dabei spielte das oben erwähnte Beibringensinventar eine wichtige Rolle, waren doch dort ihre Vermögensanteile festgehalten und als ihr Eigentum definiert worden.

Über das weitere Schicksal Maria Dorotheas ist fast nichts bekannt. Gemäß einer späteren Nachricht hatte Johann Jakob, der Sohn von „Michael Meidingers Wittib“, dann 1782 (bzw. bis 1782) Bietigheim verlassen. In den Quellen des Stadtarchives finden sich keine Nachrichten über das weitere Schicksal von Mutter und Sohn.

 

Quellen

Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen Bh A Nr. 438; Bh B Nr. 982; D 3 Nr. 12/2132

 

Literatur

Bidlingmaier, Rolf: Teilungen und Inventuren, in: Serielle Quellen in südwestdeutschen Archiven, hg. v. Christian Keitel u. Regina Keyler, Stuttgart 2005, S. 21-27