„E-Mobilität“ im alten Bietigheim – nicht verwirklichte Straßenbahnprojekte und ihre Spuren in den Unterlagen des Stadtarchivs (1905-1911)

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In einem Archiv kann zuweilen auch ein ganz unscheinbarer Zettel Hinweise auf bemerkenswerte Vorgänge liefern. So verhält es sich auch bei einem Papier, das sich in den alten Bietigheimer Unterlagen gefunden hat (Abb. 1). In dem undatierten Schriftstück mit der Signatur 8/198 heißt es kurz und bündig:

Feststellung des Personen- und Güterverkehrs von der Stadt zum Bahnhof. Betrifft das Projekt einer elektrischen Straßenbahn vom Bahnhof zur Stadt.“

Die Nachricht macht dann doch neugierig. Eine Durchsicht der Ortschronik, eine Zusammenstellung von Daten und Geschehnissen der Bietigheimer Stadtgeschichte aus der Zeit von 1897 bis 1935, liefert dann erste weiterführende Informationen.  Im Jahr 1910 hatte die Stuttgarter Firma Balz und Co[mpagnie] der Stadt angeboten, eine „gleislose elektr[ische] Straßenbahn“, die vom Bahnhof bis zur Stadt gehen sollte, zu bauen und zu betreiben.  Die Stadt sollte im Gegenzug eine fünfjährige Garantie gewähren, mit der sie sich verpflichtete, mögliche Verluste des Betreibers mit einem Zuschuss bis zu 3500 Mark zu tragen.

Mit einer „gleislosen Straßenbahn“ war ein „Oberleitungsbus“ bzw. „Trolleybus“ gemeint. Dies sind Busse, die von Elektromotoren angetrieben werden und ihren Strom von einer über die Fahrbahn gespannten Oberleitung erhalten. Dieses Verkehrsmittel verbreitete sich Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr. Die Strecke wäre vermutlich über die heutige Bahnhofstraße verlaufen. Woher der Strom gekommen wäre, ist nicht erwähnt.

Letztendlich wurde jedoch nichts aus dem Projekt. Am 8 Juni 1910 stimmte der Gemeinderat gegen das Projekt, ihm waren die möglichen Kosten einfach zu hoch.  Lediglich im Falle, dass die Firma Balz und Co. auch die Verluste tragen würde, signalisierte der Gemeinderat ein Einverständnis.  In diesem Fall hatte er dann auch konkretere Vorstellungen. So sollte die Linie durch die Hauptstraße bis zu den „Schulgebäuden vor dem oberen Tor“ (Hillernschule) geführt werden.  Doch das Projekt war allem Anschein nach mit dieser Entscheidung für die Firma Balz uninteressant geworden und so musste Bietigheim auf seinen Oberleitungsbus verzichten.

Doch gab es offensichtlich einen neuerlichen Anlauf in Richtung E-Mobilität. Wegen der sich „immer mehr ausdehnende[n] Besiedlung des Bahnhofsgebiets“ wurde der Bau einer „elektrische[n] Bahn mit Gleisen“ geprüft, welche Personen und Güter transportieren konnte.  Auslöser der der Überlegungen war wohl die geplante Abschaffung der Personenpostfahrten zwischen Stadt und Bahnhof.  Mit dem Straßenbahnprojekt folgte Bietigheim einer schon längeren allgemeinen Entwicklung, da bereits in den 1880er Jahren die ersten strombetriebenen Straßenbahnen aufgekommen waren.

Die Kosten für die zwei Kilometer lange Strecke hätten sich auf 50.000 Mark belaufen, wie in einer Gemeinderatssitzung am 31. Mai 1911 ein Gemeinderat namens Schmidt ausführte.  Den Betrieb wollte die Stadt selbst übernehmen. Als Lieferant der „elektrischen Kraft“ war übrigens die „Oelfabrik von Ziegler und Dr. Denk“ vorgesehen.   Genaueres sollte ebenfalls noch geprüft werden. 

Die Debatte im Jahr 1911 wurde natürlich auch von der örtlichen Presse begleitet, welche eigene Ideen zu dem Projekt beitrug. So regte sie die Verlängerung der Strecke bis zum Schulhaus sowie bis zur Kammgarnspinnerei an. Aktuell wurde offenbar eine Strecke vom Bahnhof bis zur Post in der Nähe des heutigen Kronenzentrums angestrebt. Als Haltestellen (jeweils mit Haltestelle der Gegenrichtung) waren das Bahnhotel (Firmen Faber, Germania-Linoleumwerke), Gasthaus Felsenkeller (Hofkameralamt) sowie die Enzbrücke (Gasthaus Post) vorgesehen.

Übrigens waren schon früher Projekte mit elektrischen Straßenbahnen, mit und ohne Gleis, erwogen worden. Letzteres geht aus einem Artikel im Enz-Metter-Boten vom 3. Januar 1905 hervor.  Im darauffolgenden Jahr wurde abermals über ein Straßenbahnprojekt berichtet, diesmal auf Gleisen. Die Planung war recht ehrgeizig und erinnert an heutige Stadtbahnvorhaben, sollte doch die Trasse der elektrischen Straßenbahn von Bietigheim ausgehend, über Großingersheim, Pleidelsheim, Mundelsheim, Hessigheim, Gemmrigheim, Kirchheim nach Bönnigheim und zurück über Löchgau, Besigheim nach Bietigheim gehen.  Bei einer Diskussion mit Vertretern aus den Kommunen und der Wirtschaft im Gasthaus Post in Bietigheim waren neben dem Bietigheimer Stadtschultheißen Wilhelm Mezger auch „Komm[erzien]-Rat“ Arthur Faber erschienen.  Letzterer „versicherte die Erschienenen des regen Interesses, das namentlich auch die Industrie dem Unternehmen entgegenbringe.“  Letztendlich blieb es bei Diskussionen und Vorplanungen; das Projekt wurde nicht verwirklicht.

Auch das 1911 diskutierte Straßenbahnvorhaben wurde nicht weiterverfolgt und im wahrsten Sinne des Wortes zu den Akten gelegt, wo die betreffenden Unterlagen heute noch zu finden sind.

 

Quellen:

Bh B Nr. 753, Bh Nr. 8/198, Bh Nr. 1484

Enz-Metter-Bote v. 3.1.1905, 30.1.1911, 10.5.1911

Neckar-Enz-Bote v. 7.6.1911

 

Literatur: 

de.wikipedia.org/wiki/Straßenbahn <14.4.2022>